Sein oder nicht sein

Shakespeares „Viel Lärm um Nichts“ im Burgtheater

Immer öfter muss man sich leider bei Klassikerübersetzungen diese Frage stellen, wenngleich auch nicht im Shakespeareschen Sinne. Sein Stück ist das, was das Burgtheater da auf die Bühne bringt, ganz sicher nicht. So sehr nicht sein, dass der Übersetzer/Kürzer/Verstümmler sich nicht traut, namentlich im Programmheft genannt zu werden, und so steht einfach „Deutsche Fassung Burgtheater“ da. Und deutsch ist es, ganz und gar.

Viel Lärm um NichtsEinerseits hat Jan Bosse (Jahrgang 1969), der seit 1998 an international renommierten Häusern und 2008 in Basel erstmals mit Monteverdis „Orfeo“ eine Oper inszeniert, offenbar die Brechtschen Grundsätze immer noch nicht als passé verarbeitet, und andererseits wird ein Bühnenbild geboten, das ab der Mitte des Stücks an den ZDF-Fernsehgarten erinnert: Die zweite Hälfte des Rumpfes, der in der Zwei-Stunden-Fassung von Shakespeares fünf Akten noch übrig bleibt, spielt in der Kulisse einer Südseeinsel à la Fernsehshow (Rollrasen, Plastikpalme, Sand und Planschbecken). Hinzu kommt, dass Nikolaus Ofczarek als Don Pedro in einer Kostümage steckt, die dem echten Florian Silbereisen bedenklich nahekommt. Davor wird eine Persiflage auf ein schlechtes Fernsehballett (lauter Weiße in Urwald-Baströckchen, die zu afrikanischem Getrommle herumhüpfen – ich lach’ mich tot!) geboten.

Dazu sind es überwiegend deutsche Schauspieler, deren sprachliche Herkunft auch noch durch die leidige „Übersetzung“ verstärkt wird. Natürlich kommen haufenweise „Arschlöcher“, „Huren“ und sogar Ausflüge in Richtung „boah ey krass mann“ vor, und der Versuch, die wunderbar hintergründigen Pointen Shakespeares zu übersetzen, wird gar nicht unternommen. Der im Regietheater offensichtlich ja obligate nackte Po ist auch drin … En tout ist es eine Nacherzählung der Shakespeareschen Handlung, so wie sie ein halbwegs betamter deutscher Mittelschulprofessor für seine Schultheatergruppe, bestehend aus pubertären 16jährigen, auch fabrizieren hätte können. Dementsprechend hat sich auch die Gruppe von entsprechenden Schülern, vor der ich zu sitzen kam, köstlich amüsiert. Wenn das die Zielgruppe war, ist das Experiment gelungen. Kurz: Es sind zwei Stunden Klamauk, überwiegend gut gemacht, auch schon mal platt, aber mit Shakespeare hat das so viel zu tun wie die Simpsons mit Oscar Wilde.

Nikolaus Ofczarek (Don Pedro), Joachim Meyerhoff (Benedict) und vor allem Christiane von Poelnitz als Beatrice spielen und sprechen grandios. Jan Bosse setzt leider mehr auf die Kunst des hemmungslosen Utrierens als Vertrauen in seine so wunderbaren Schauspieler, die sich daher mit diesem Klamauk (der auch nicht in diesem Haus sein muss!) gehörig unter Wert verkaufen müssen, denn hier geht es nur ums gekonnte Ulken.

Es scheint auch, dass zum Zeitpunkt der Inszenierung die Garderoben des Burgtheaters nicht mehr zur Verfügung standen, denn es wird sich auf der Hinterbühne umgezogen und neben der allbeherrschenden Tupperwareschüssel, die die Kulisse bildet, einfach darauf gewartet, bis man wieder dran ist. Während emsige Bühnenarbeiter den Rollrasen für die Südseeinsel ausrollen, wird von einem der Darsteller schnell erzählt, was in den ausgelassenen zwei Akten passiert. Ach so, und den Vorhang hat man auch gespart. Während das Publikum ins Theater kommt, wird aufgebaut, gehämmert und geschraubt, und irgendwann geht’s dann los. Am Ende ebenso – es ist einfach irgendwann aus, und eine der Schlusspointen kommt noch in den Applaus.

Zugegeben: Kurzweilig war es durchaus. Einmal. Neuigkeitswert: Null. Die zigste Regietheaterinszenierung, eine unter so vielen. Summa summarum hier nun die Empfehlung: Wer am 3. Oktober partout nichts Besseres zu tun weiß oder ohne Nachdenken lachen will, kann ja ins Burgtheater zur vorläufig letzten Vorstellung gehen. Man kann aber auch eine DVD ausleihen und zu Hause bleiben – jeder Billy-Wilder-Film hat mehr zu bieten.

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Sein oder nicht sein

Drei Sekunden Ewigkeit – András Schiffs fünfte Beethoven-CD

Wieso maßt sich ein Irdischer an, über eine Götterkonferenz zu schreiben? Wahrscheinlich aus Neid, nicht dazuzugehören … András Schiff, Pianist, Musiker und Musikant, hat im Konzert bereits den gesamten Kosmos der Beethoven-Klaviersonaten durchschritten. In seinem Kopf und seinem Herzen sicher schon jahrzehntelang und immer wieder, aber nun lässt er uns daran zwiefach teilhaben: In den großen Konzertsälen der Welt und, dank dem CD-Label für Connaisseurs (Manfred Eichers ECM New Series), nun auch zu Hause. Die CD ist – wie immer – makellos aufgemacht, klingt fabelhaft (man hört sogar den Unterschied zwischen Bösendorfer und Steinway!) und ist einmal mehr mit einem wunderbaren Booklet ausgestattet, worin wieder Teile der Gespräche abgedruckt sind, die Martin Meyer mit András Schiff über diese Werke geführt hat. Wem selbst dieses Booklet noch zu wenig informativ ist, dem sei das inzwischen erschienene Buch ans Herz gelegt.

Interpretationsvergleiche von Werken scheinen mir vollkommen sinnlos. Man vergleicht ja auch nicht Picasso mit Dalí, selbst wenn es zufällig von beiden ein Bild mit demselben Titel geben sollte. Es ist schlichtweg nicht von Interesse, ob Kempff, Gulda, Annie Fischer oder Claudio Arrau einen Satz schneller oder langsamer spielen, nein, nicht einmal, ob sie ein bestimmtes sforzato stärker spielen als András Schiff oder nicht. Das ist, man verzeihe mir das derbe Wort, Klugscheißerei. Worüber es also zu berichten gilt, wenn sich ein Musiker vom Rang eines András Schiff dem Neuen Testament der Klavierliteratur nähert, ist lediglich, ob diese Näherung gelungen scheint.

Gleich vorweg: Sie scheint nicht nur gelungen, sie ist es. Natürlich, wie bei allen großen, ja beinahe übermenschlichen Musikanten, wie Schiff einer ist, ist das Resultat ein absolutes und persönliches zugleich. Natürlich könnte man ausführlich über seine Pedaltechnik sinnieren, inwieweit sie von seiner Kenntnis der Instrumente der Beethoven-Zeit beeinflusst ist. An vielen Stellen (so etwa besonders im ersten Satz von op. 31/2) fällt es zumindest auf, da man eine Hörgewohnheit hat. Ob es die richtige war, ist vollkommen fraglich. Natürlich könnte man darüber schreiben, dass er sich gelegentlich sehr freizügig über dynamische Anweisungen oder sforzati hinwegsetzt.

Doch all das zählt nicht. Jeder, der diese Begegnung zweier Titanen live miterlebt hat, weiß, warum. Es ist erklärt im Moment des Hörens, wenn man es wirklich schafft, die eigenen Ohren zu so öffnen, dass sie die direkte Verbindung zum Herzen nicht durch intellektuelle Pseudowissenschaft gestört ist. Wer das kann, der bekommt Beethovens Geist durch András Schiffs Kopf und Herz – was für ein Glücksmoment! Solche Kraft, Poesie, Spannung und zugleich Demut vor dem Werk hört, nein: spürt man selten. Ganz abgesehen von der technischen Ausführung – über Schiffs pianistische Fähigkeiten auch nur ein Wort zu verlieren, ist Zeitvergeudung. Er kann das, was er da macht; ja, mehr als das: Er kann auf das Klavier als eine seiner so zahlreich gesprochenen Sprachen zählen.

Nach den Sonaten op. 31 wird die „Waldstein“-Sonate in dieser Aufnahme zur Offenbarung, und op. 31/1 zeigt eine Facette an Beethoven, die man selten hört: Leichtigkeit. Interessanterweise ist es in G-Dur, wie auch schon der zweite Satz der Cellosonate op. 5/2 – auch unbeschwerte Musik.

Jeder Moment, den man einen Komponisten, besonders einen der Klassik, durch András Schiff sprechen hören kann, ist ein kostbarer. Zusammen ergeben sie vielleicht drei Sekunden Ewigkeit. Um so mehr ist es bedauernswert, dass das Konzert vom kommenden Sonntag im Theater an der Wien, in dem die Opera 49, 14 und 22 erklungen wären, auf Frühjahr 2009 verschoben wurde.

Drei Sekunden Ewigkeit – András Schiffs fünfte Beethoven-CD