Wieso maßt sich ein Irdischer an, über eine Götterkonferenz zu schreiben? Wahrscheinlich aus Neid, nicht dazuzugehören … András Schiff, Pianist, Musiker und Musikant, hat im Konzert bereits den gesamten Kosmos der Beethoven-Klaviersonaten durchschritten. In seinem Kopf und seinem Herzen sicher schon jahrzehntelang und immer wieder, aber nun lässt er uns daran zwiefach teilhaben: In den großen Konzertsälen der Welt und, dank dem CD-Label für Connaisseurs (Manfred Eichers ECM New Series), nun auch zu Hause. Die CD ist – wie immer – makellos aufgemacht, klingt fabelhaft (man hört sogar den Unterschied zwischen Bösendorfer und Steinway!) und ist einmal mehr mit einem wunderbaren Booklet ausgestattet, worin wieder Teile der Gespräche abgedruckt sind, die Martin Meyer mit András Schiff über diese Werke geführt hat. Wem selbst dieses Booklet noch zu wenig informativ ist, dem sei das inzwischen erschienene Buch ans Herz gelegt.
Interpretationsvergleiche von Werken scheinen mir vollkommen sinnlos. Man vergleicht ja auch nicht Picasso mit Dalí, selbst wenn es zufällig von beiden ein Bild mit demselben Titel geben sollte. Es ist schlichtweg nicht von Interesse, ob Kempff, Gulda, Annie Fischer oder Claudio Arrau einen Satz schneller oder langsamer spielen, nein, nicht einmal, ob sie ein bestimmtes sforzato stärker spielen als András Schiff oder nicht. Das ist, man verzeihe mir das derbe Wort, Klugscheißerei. Worüber es also zu berichten gilt, wenn sich ein Musiker vom Rang eines András Schiff dem Neuen Testament der Klavierliteratur nähert, ist lediglich, ob diese Näherung gelungen scheint.
Gleich vorweg: Sie scheint nicht nur gelungen, sie ist es. Natürlich, wie bei allen großen, ja beinahe übermenschlichen Musikanten, wie Schiff einer ist, ist das Resultat ein absolutes und persönliches zugleich. Natürlich könnte man ausführlich über seine Pedaltechnik sinnieren, inwieweit sie von seiner Kenntnis der Instrumente der Beethoven-Zeit beeinflusst ist. An vielen Stellen (so etwa besonders im ersten Satz von op. 31/2) fällt es zumindest auf, da man eine Hörgewohnheit hat. Ob es die richtige war, ist vollkommen fraglich. Natürlich könnte man darüber schreiben, dass er sich gelegentlich sehr freizügig über dynamische Anweisungen oder sforzati hinwegsetzt.
Doch all das zählt nicht. Jeder, der diese Begegnung zweier Titanen live miterlebt hat, weiß, warum. Es ist erklärt im Moment des Hörens, wenn man es wirklich schafft, die eigenen Ohren zu so öffnen, dass sie die direkte Verbindung zum Herzen nicht durch intellektuelle Pseudowissenschaft gestört ist. Wer das kann, der bekommt Beethovens Geist durch András Schiffs Kopf und Herz – was für ein Glücksmoment! Solche Kraft, Poesie, Spannung und zugleich Demut vor dem Werk hört, nein: spürt man selten. Ganz abgesehen von der technischen Ausführung – über Schiffs pianistische Fähigkeiten auch nur ein Wort zu verlieren, ist Zeitvergeudung. Er kann das, was er da macht; ja, mehr als das: Er kann auf das Klavier als eine seiner so zahlreich gesprochenen Sprachen zählen.
Nach den Sonaten op. 31 wird die „Waldstein“-Sonate in dieser Aufnahme zur Offenbarung, und op. 31/1 zeigt eine Facette an Beethoven, die man selten hört: Leichtigkeit. Interessanterweise ist es in G-Dur, wie auch schon der zweite Satz der Cellosonate op. 5/2 – auch unbeschwerte Musik.
Jeder Moment, den man einen Komponisten, besonders einen der Klassik, durch András Schiff sprechen hören kann, ist ein kostbarer. Zusammen ergeben sie vielleicht drei Sekunden Ewigkeit. Um so mehr ist es bedauernswert, dass das Konzert vom kommenden Sonntag im Theater an der Wien, in dem die Opera 49, 14 und 22 erklungen wären, auf Frühjahr 2009 verschoben wurde.