Eigentlich ist es ja seltsam, dass ausgerechnet ein Rheinländer mit niederländischen Wurzeln als einer der drei Hauptvertreter der „Wiener Klassik“ gilt. Die anderen beiden sind übrigens ein Salzburger (Mozart) und ein Burgenländer (Haydn). Ludwig van Beethoven, geboren 1770 im damals noch beschaulichen Bonn am Rhein als Sohn eines dem Alkohol verfallenen Orchestermusikers, kam also dank diverser Gönner nach Wien, um von dem Burgenländer die Wiener Klassik zu lernen, und blieb – wie so viele vor und nach ihm.
Auch bei Beethoven sind die Eckpfeiler seines Lebens wohl bekannt oder leicht nachzulesen. Beethoven, von den drei Wiener Klassikern derjenige, der die Schwelle zur Romantik am ehesten berührt, wenn nicht sogar ganz zaghaft gelegentlich schon überschreitet, quasi mit der kompositorischen kleinen Zehe. Mozart, der Göttliche, Haydn, der Irdische, und Beethoven, der … ja was? „Titan“ ist einer der Begriffe, die man immer wieder in Zusammenhang mit ihm findet. Warum ausgerechnet „Titan“?
Beethoven ringt ein Leben lang. Mit sich, seinem Inneren und Äußeren. Glaubt man den zeitgenössischen Beschreibungen, so war er kein äußerlich schöner Mensch: als klein und pockennarbig, mit wildem Haar und oft grimmigem Gesichtsausdruck wird er dargestellt. Das Innere ist wohl schwerer zu beschreiben, ist es doch so untrennbar mit manchen Äußerlichkeiten, so etwa der immer wieder verschmähten Liebe und dem Verlust der akustischen Wahrnehmungsfähigkeit der Umwelt verbunden. Nicht nur daraus resultiert wohl ein geradezu panisches Ringen mit den musikalischen Gedanken, die sich in seinem Kopf und seiner zerklüfteten Seele formen. Meist sind es Tonleiter- oder Dreiklangsmotive, die er – anders als die endlos fließenden Mozart-Melodien oder die fast sprachlich artikulierten Haydn-Motive – zu markanten Themen zusammenschmiedet.
Abweisend und schroff sind viele seiner Themen, ja ganze Werke brauchen die Bereitschaft von Musikern und Zuhörern, sich auf diesen Menschen einzulassen. Und doch gibt es die Momente der beinahe unbeschwerten Schönheit, sogar Anflüge von Humor, wenngleich selten „Spaß“. Harmlos war er sicher nicht, der Komponist von „Hammerklavier“-Sonate, Fidelio und den späten Streichquartetten. Wäre er ein bildender Künstler gewesen, hätte er wohl mit Granit und heutzutage auch mit Stahl gearbeitet. Und doch tun sich Sehnsüchte auf (man denke an den langsamen Satz der „Pathétique“-Sonate), friedlich-pastorale Werke (so etwa der erste Satz des G-Dur-Klavierkonzerts, der erste Satz des „Erzherzog“-Trios oder die A-Dur-Cellosonate) und auch heiter-unbeschwerte Sätze (etwa der letzte Satz des dritten Klaviertrios, der letzte Satz des Tripelkonzerts oder weite Teile der siebten und achten Symphonie) kommen vor.
Beethovens Musik springt einen nicht an, weder den Zuhörer noch den Spieler. Sie braucht, um ihre volle Faszination zu entfalten, den Willen, dem Menschen Beethoven entgegenzukommen. Lässt man sich aber einmal auf diese Reise wirklich ein, kommt man von ihr nicht mehr los. Und irgendwann, irgendwann erklärt sich auch das Unerklärliche, zum Beispiel wie in den letzten Streichquartetten die Cavatine neben der Großen Fuge stehen kann. Beethoven näherkommen zu wollen ist eine Reise zum Mittelpunkt der Erde.
„… zum Mittelpunkt der Erde“ oder eher: zum Mittelpunkt von sich selbst?
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