Von der Naivität

Daniel Barenboims Digital-Label „Peral Music“ wurde 2013 mit großem Getöse angekündigt, und kurz nach dieser Ankündigung erreichte mich ein Newsletter, der mit dem Titel „How to Listen“ als Betreff versehen war. Remi Franck vom luxemburgischen „Pizzicato“-Onlinemagazin hat schon im Mai 2014 eine sehr kluge Kurzanalyse dieses Kuriosums geliefert. Aus der Sicht eines aufmerksamen Musikhörers, eines Musikers und auch der des Labelmachers kann ich meine Verwunderung selbst acht Jahre später noch nicht verbergen.

Abgesehen von dem ganzen Personenkult um Barenboim inklusive des Tricks mit dem Labelnamen („peral“ bedeutet Birnbaum bedeutet Barenboim) möchte ich als Kunde nicht mit erhobenem Zeigefinger und oberlehrerhaft instruiert werden, wie man richtig zuhört, schon gar nicht per Newsletter oder per Video. Solche Tutorials verfolge ich für Softwarebenützung, aber nicht zum Musikhören. Wenn überhaupt, möchte ich die Begeisterung über die Aufnahme vermittelt bekommen, oder ganz einfach nur über das Ganze informiert werden, um mir selber einen Eindruck zu machen. Die Begeisterung wäre aus meiner Sicht eigentlich der schönste Aufhänger. Davon ist hier wenig zu spüren, vielmehr wird mir vermittelt, dass ich in den letzten dreißig Jahren meines Musikhörens ja sowieso keine Ahnung gehabt hätte, was und vor allem wie ich da höre. Nun … immerhin hat das „Introducing Peral Music“-Video auf YouTube im ersten halben Jahr heiße 38 Aufrufe gehabt, von Begeisterung also keine Spur. Bis heute, fast acht Jahre später, sind es rekordverdächtige 561 Klicks.

Und das bringt mich zur Verwunderung über die Naivität: Seit Jahren reden alle Independentlabels miteinander über den Digitalmarkt und über seine Verkaufs- und Umsatzzahlen. Wir wissen, dass Streamingdienste wie Spotify de facto Gratisplattformen sind, und der wegweisende und brancheninnovative Klaus Heymann propagiert beinahe seit Jahrzehnten, dass man im Digitalbereich nur durch Breite und durch einen möglichst großen Katalog nennenswerte Umsätze erzielen kann (was er selbst für Naxos ja am erfolgreichsten vorlebt). Hier nun kommt ein Label, das sich auf iTunes alleine beschränkt und bisher in drei Monaten lediglich drei Bruckner-Symphonien herausgebracht hat; eine in Wahrheit, bei aller musikalischen Wertschätzung für Maestro Barenboim, vollkommen redundante Aufnahme.

In einer der zahlreichen Presseaussendungen, die mich erreicht haben, war als innovatives Konzept davon zu reden, dass „berühmte Musiker“ hier nun auch „pädagogische Werke“ einspielen sollten. Ein Blick in die bestehenden Kataloge zeigt, dass es das auch längst gibt: Takako Nishizaki mit den Suzuki-CDs bei Naxos, Itzhak Perlmans „Concertos from my childhood„, und irgendwo hintendran darf ich mich auch selbst ganz bescheiden einreihen mit neun oder zehn CDs der gesamten wesentlichen Celloetüden. Das Konzept ist also wahrlich nicht neu, und jeder, der eine solche Aufnahme gemacht hat, weiß, dass man das nicht nebenbei zwischen 120 Konzerten im Jahr machen kann. Denn dann geht es am Zweck vorbei, den Schüler*innen zu zeigen, wie gut solche Übungsstücke klingen können, wenn sie mit demselben Eifer durchdrungen werden wie eine Beethoven-Sonate. An ihnen nämlich soll man – neben den technischen Fertigkeiten – eigentlich lernen, wie man mit den großen Werken umgehen wird. Solche Aufnahmen sind ein zeitliches und künstlerisches Investment, das man bewusst machen muss, und ich kenne nicht viele Musiker, die dazu Zeit und Geduld aufbringen wollen und können.

Umsatzmäßig gibt es Analysen, dass eine Klassik-Aufnahme im Jahr im Durchschnitt ein paar hundert Dollar Digitalumsatz macht, wenn sie nicht durch irgendeinen Zufall der digitale Superhit wird. Bei 38 YouTube-Aufrufen wage ich das aber zumindest für die anfangs vorliegenden Bruckner-Symphonien sanft anzuzweifeln, und dass Daniel Barenboim die Czernysche „Schule der Geläufigkeit“ einspielen wird, glaube ich dann doch nicht. Von einem Digitaldollar bleiben Peral dann etwa 65 Cent (inklusive Mehrwertsteuer), das heißt, bei einem Album in etwa 5 Dollar netto. Allein das Video hat sicher schon vierstellige Dollarsummen gekostet, von der Aufnahme selbst ganz zu schweigen. Um kommerziell erfolgreich zu sein, muss man also zehntausende Downloads dieses Albums erhoffen, damit alle Kosten der Aufnahme wieder gedeckt sind. Nicht einmal das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker schaft das aber. Und damit noch nicht genug: Die immer wichtiger werdenden Rundfunktantiemen werden Peral Music auch versagt werden, denn die allergrößte Mehrheit der weltweiten Radiostationen spielt nur physische Tonträger, keine reinen digitalen Files (in Deutschland und Österreich schon alleine deswegen, weil da kein LC=LabelCode im Spiel ist). Alles in allem ist da entweder SEHR viel Geld im Spiel, das man verbraten darf, ohne es je wiederzusehen, oder eben ganz einfach das, was Remi Franck schon im Mai 2014 festgestellt hat: Naivität. Ich werde – bei aller Wertschätzung für die Musik, die da gemacht wird – auch während Pandemie oder Covid-19-Isolation sicher kein Kunde.

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Von der Naivität

Wagner zum Wäschewaschen

(c) Sony BMG

Ich komme erst jetzt dazu, es aufzuarbeiten. Irgendwann vor längerer Zeit, in einem CD-Geschäft (als es diese noch gab), hat es mir doch glatt die Sprache verschlagen – und das kommt selten vor. „Barock zum Baden II“ stand da im Regal . Ich könnte verstehen, wenn mich der/die geneigte Leser*in jetzt verdächtigt, ich würde ihn oder sie auf den Arm nehmen.

Ganz im Gegenteil: „Arien zum Autofahren“, „Barock zum Bügeln“, „Barock zum Backen“ und „Barock zum Bücherlesen“ sind nur die paar, die ich mir in meiner Fassungslosigkeit gemerkt habe. Ich stelle mir die Frage, ob die Existenz dieser CD-Reihe mehr Anlass zur Besorgnis über den Geisteszustand ihrer Macher oder ihres Publikums gibt. Wenn das die Tendenz ist, dann wundert es mich nicht, dass der Klassikmarkt in einer Krise stecken soll. Solche Dinge sind es, die die Krise sind – ist Volksverblödung gerichtlich verfolgbar?

Vielleicht aber bin ich nur hoffnungslos realitätsverweigernd. Bei scharfer Überlegung mag das so sein, und daher gehe ich in mich und erlaube mir, den Köpfen, die hinter dieser Serie stecken, meine bescheidenen Dienste anzubieten; ich werde keine Copyright-Ansprüche stellen. Sehr geehrte Damen und Herren, wie wäre es mit: „Rachmaninoff zum Rammeln“, „Schostakowitsch zum Schuheputzen“, „Nachtmusik für Nebbochanten“, „Gluck zum Glenfiddich“, „Wagner zum Wäschewaschen“, „Fauré zum Vögeln“ oder exklusiv für das bevorstehende Jubiläumsjahr 2024, denn auch dort muss ja heutzutage Berieselung sein, „Bruckner zum Brunzen“?

Wagner zum Wäschewaschen