Rede anlässlich des Benefizkonzerts des Orchesters der ABPU am 18.3.2022

Liebe Studierende, liebes Publikum!

Wenn vor einer Vorstellung oder einem Konzert der Hausherr auf die Bühne oder vor den Vorhang kommt, heißt das normalerweise nichts Gutes. Hier muss ich einen Film der Cohen-Brüder zitieren: „Would that it were so simple.“ Ich wünschte, es wäre so einfach.

Wie gerne hätte ich Sie ganz einfach nur begrüßt, und noch nie hätte ich lieber eine Programmänderung bekanntgegeben als heute. Es bleibt aber alles, wie es im Programmheft gedruckt ist, was mich in Zeiten wie diesen jedoch besonders freut.

Daher zum schwierigen Teil. Ich würde mich gerne kurzfassen, fürchte aber, dass mir das nicht ganz gelingen wird, und bitte Sie dafür um Ihr offenes Ohr.

Seit zwei Jahren ist die Welt fest im Griff der Covid-19-Pandemie, und besonders für die Generation unserer Studierenden ist diese Pandemie – um Frau Merkel zu zitieren – eine „demokratische Zumutung“. Jetzt, seit drei Wochen, kommt etwas hinzu, was den Begriff „demokratische Zumutung“ geradezu als Verharmlosung scheinen lässt. Quasi vor unserer Haustür findet eine militärische Auseinandersetzung statt, die unendliches Leid für sehr viele Menschen bedeutet. Familien müssen ihre Väter, Brüder und Söhne in den Krieg schicken. Alte, Frauen und Kinder sind auf der Flucht.

Im Gegensatz zur demokratischen Zumutung der Pandemie, der wir – von kläglichen Bekämpfungsversuchen der Politik abgesehen – erstaunlich hilflos ausgeliefert sind, hoffen wir irgendwie, der demokratischen Zumutung dessen, was derzeit in der Ukraine stattfindet, weniger hilflos ausgeliefert zu sein, weil wir „etwas tun können“.

Als Privatperson glaube ich an Aktion, nicht an Aktionismus. Für mich persönlich ist der Unterschied ganz einfach: Aktionismus bedient die eigene Befindlichkeit, Aktion hilft anderen. In allen Entscheidungen, die ich in schwierigen Situationen beeinflussen kann, hoffe ich, diesen Grundsatz zu beherzigen.

Als Universitätsangehöriger bin ich überzeugt, dass wir verantwortlich sind, besonders unsere Studierenden dazu zu ermutigen, Aktion immer vor den Aktionismus zu setzen. Wir haben daher bisher im Rahmen unserer Möglichkeiten versucht, Aktionen zu setzen, indem wir Mitarbeiter*innen, Studierenden und Studienbewerber*innen aus der Ukraine unkomplizierte Hilfe verschiedener Art angeboten haben und zuteilwerden lassen, aber auch jenen Universitätsangehörigen, die indirekt von den Geschehnissen betroffen sind – etwa russische oder belarussische Staatsangehörige – in vielfältiger Weise hoffen zu unterstützen.

Wir als Angehörige der Anton Bruckner Privatuniversität stehen für Menschen, nicht für Länder. Unsere fast 1.200 Universitätsangehörigen kommen aus 46 Ländern, darunter Belarus, Iran, Kolumbien, Mexiko, die Russische Föderation, Syrien, die Türkei und die Ukraine.

Derzeit toben auf der Welt rund 20 große Kriege – das heißt solche Konflikte, die mehr als 1.000 oder gar mehr als 10.000 Menschenleben jährlich fordern, manche davon seit Jahrzehnten. Afghanistan, Äthiopien, Myanmar, Jemen, Kongo, Mali, Mozambique, Nigeria, Ruanda, Somalia, Sudan, Tigray, Zentralafrika, der Boko-Haram-Konflikt, aber auch der Irak, Kolumbien, Mexiko, Syrien, der Kurdenkonflikt in der Türkei und natürlich die Ukraine. Laut UNO sind 2021 rund 83 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht gewesen; die Schicksale vieler davon – das müssen wir beschämt zugeben – haben wir, die weißen Europäer, in vergangenen Jahren auf dem Gewissen.

In den letzten beiden Wochen sind zwei Millionen Flüchtende hinzugekommen, deren Leben uns erschreckend nahe ist: räumlich, kulturell, optisch. Auch wenn es mir fast die Tränen in die Augen treibt: Wir werden von hier aus keinen der Kriege in den Ländern, die ich vorhin aufgezählt habe, stoppen können, schon gar nicht durch Aktionismus, aber leider auch nicht durch Aktion.

Durch Aktion aber können wir Menschen helfen – übrigens nicht nur im Krieg. Ich habe daher an Sie alle zwei Bitten:

Helfen Sie uns bei unseren Aktionen. Wir haben ein Spendenkonto eingerichtet, dessen Details Sie auf der Rückseite des Programmheftes finden, und draußen auch für niederschwelliges Spenden eine Box aufgestellt. Sie können sicher sein, dass jeder Euro entweder direkt bei unseren betroffenen Universitätsangehörigen ankommt oder im Sinne der direkten Hilfe einer entsprechenden Spendenaktion zugeführt wird.

Besinnen wir uns aber auch auf die Möglichkeiten, die wir alle einzeln haben: Vom Hinschauen (statt wegschauen), der manchmal so sehr herbeigesehnten Frage: „Wie geht es Dir?“ bis hin zu: „Kann ich Dir helfen?“. Ich bemühe mich, beide Fragen mindestens einmal täglich einem Menschen außerhalb meiner Familie bewusst zu stellen.

Meine zweite Bitte ist daher das fortwährende Hinschauen. Wir sind zum Hinschauen verpflichtet. Jetzt besonders, aber auch, wenn etwas vermeintlich weit weg ist. Was für uns weit weg ist, ist für jemand anderen ganz nah.

Die Aufgabe einer Kunstuniversität ist nicht, Flaggen zu hissen oder Hymnen zu singen. Die Aufgabe ist, den Studierenden Nächstenliebe, Respekt vor allen Menschen und Mut zur Aktion nachhaltig zu vermitteln und die Gesellschaft daran zu erinnern.

Die Aufgabe ist, Fragen zu stellen und den Studierenden den Mut und die Fähigkeiten zum Fragestellen zu geben. Schon „Kann ich Dir helfen?“ ist eine sehr schwierige Frage, wenn man die Antwort ernst nimmt.

Die Aufgabe heute ist, den Menschen, denen Musik im Leben hilft, Musik – und daraus Kraft und Hoffnung – zu geben.

Heute Abend ist nämlich für unsere Studierenden hier auch schon eine Hoffnung in Erfüllung gegangen: Wieder live und vor Publikum miteinander Musik machen zu können und damit Ihnen hier im Saal und dem Publikum des Livestreams Hoffnung und Freude geben zu können. Für mich geht die Hoffnung in Erfüllung, dieses wunderbare Haus wieder mit so vielen Studierenden belebt zu sehen und Sie alle hier zu haben.

Am Ende des Programms werden Sie Bernstein’s gloriose Symphonische Tänze aus der West Side Story hören. Das berühmte „Somewhere“ hat zum Text: „Somewhere there’s a place for us”. Irgendwo gibt es einen Platz für uns.

Dieser Song sollte unsere Hymne sein, denn Millionen Menschen in der Ukraine müssen gerade im Sinne des „Irgendwo gibt es einen Platz für uns“ den Mut zur Flucht ins Ungewisse aufbringen.

83 Millionen Menschen, die laut UNO 2021 auf der Flucht waren, hatten denselben Mut. Schauen wir hin!

Somewhere there is a place for us.

Rede anlässlich des Benefizkonzerts des Orchesters der ABPU am 18.3.2022

Von der Naivität

Daniel Barenboims Digital-Label „Peral Music“ wurde 2013 mit großem Getöse angekündigt, und kurz nach dieser Ankündigung erreichte mich ein Newsletter, der mit dem Titel „How to Listen“ als Betreff versehen war. Remi Franck vom luxemburgischen „Pizzicato“-Onlinemagazin hat schon im Mai 2014 eine sehr kluge Kurzanalyse dieses Kuriosums geliefert. Aus der Sicht eines aufmerksamen Musikhörers, eines Musikers und auch der des Labelmachers kann ich meine Verwunderung selbst acht Jahre später noch nicht verbergen.

Abgesehen von dem ganzen Personenkult um Barenboim inklusive des Tricks mit dem Labelnamen („peral“ bedeutet Birnbaum bedeutet Barenboim) möchte ich als Kunde nicht mit erhobenem Zeigefinger und oberlehrerhaft instruiert werden, wie man richtig zuhört, schon gar nicht per Newsletter oder per Video. Solche Tutorials verfolge ich für Softwarebenützung, aber nicht zum Musikhören. Wenn überhaupt, möchte ich die Begeisterung über die Aufnahme vermittelt bekommen, oder ganz einfach nur über das Ganze informiert werden, um mir selber einen Eindruck zu machen. Die Begeisterung wäre aus meiner Sicht eigentlich der schönste Aufhänger. Davon ist hier wenig zu spüren, vielmehr wird mir vermittelt, dass ich in den letzten dreißig Jahren meines Musikhörens ja sowieso keine Ahnung gehabt hätte, was und vor allem wie ich da höre. Nun … immerhin hat das „Introducing Peral Music“-Video auf YouTube im ersten halben Jahr heiße 38 Aufrufe gehabt, von Begeisterung also keine Spur. Bis heute, fast acht Jahre später, sind es rekordverdächtige 561 Klicks.

Und das bringt mich zur Verwunderung über die Naivität: Seit Jahren reden alle Independentlabels miteinander über den Digitalmarkt und über seine Verkaufs- und Umsatzzahlen. Wir wissen, dass Streamingdienste wie Spotify de facto Gratisplattformen sind, und der wegweisende und brancheninnovative Klaus Heymann propagiert beinahe seit Jahrzehnten, dass man im Digitalbereich nur durch Breite und durch einen möglichst großen Katalog nennenswerte Umsätze erzielen kann (was er selbst für Naxos ja am erfolgreichsten vorlebt). Hier nun kommt ein Label, das sich auf iTunes alleine beschränkt und bisher in drei Monaten lediglich drei Bruckner-Symphonien herausgebracht hat; eine in Wahrheit, bei aller musikalischen Wertschätzung für Maestro Barenboim, vollkommen redundante Aufnahme.

In einer der zahlreichen Presseaussendungen, die mich erreicht haben, war als innovatives Konzept davon zu reden, dass „berühmte Musiker“ hier nun auch „pädagogische Werke“ einspielen sollten. Ein Blick in die bestehenden Kataloge zeigt, dass es das auch längst gibt: Takako Nishizaki mit den Suzuki-CDs bei Naxos, Itzhak Perlmans „Concertos from my childhood„, und irgendwo hintendran darf ich mich auch selbst ganz bescheiden einreihen mit neun oder zehn CDs der gesamten wesentlichen Celloetüden. Das Konzept ist also wahrlich nicht neu, und jeder, der eine solche Aufnahme gemacht hat, weiß, dass man das nicht nebenbei zwischen 120 Konzerten im Jahr machen kann. Denn dann geht es am Zweck vorbei, den Schüler*innen zu zeigen, wie gut solche Übungsstücke klingen können, wenn sie mit demselben Eifer durchdrungen werden wie eine Beethoven-Sonate. An ihnen nämlich soll man – neben den technischen Fertigkeiten – eigentlich lernen, wie man mit den großen Werken umgehen wird. Solche Aufnahmen sind ein zeitliches und künstlerisches Investment, das man bewusst machen muss, und ich kenne nicht viele Musiker, die dazu Zeit und Geduld aufbringen wollen und können.

Umsatzmäßig gibt es Analysen, dass eine Klassik-Aufnahme im Jahr im Durchschnitt ein paar hundert Dollar Digitalumsatz macht, wenn sie nicht durch irgendeinen Zufall der digitale Superhit wird. Bei 38 YouTube-Aufrufen wage ich das aber zumindest für die anfangs vorliegenden Bruckner-Symphonien sanft anzuzweifeln, und dass Daniel Barenboim die Czernysche „Schule der Geläufigkeit“ einspielen wird, glaube ich dann doch nicht. Von einem Digitaldollar bleiben Peral dann etwa 65 Cent (inklusive Mehrwertsteuer), das heißt, bei einem Album in etwa 5 Dollar netto. Allein das Video hat sicher schon vierstellige Dollarsummen gekostet, von der Aufnahme selbst ganz zu schweigen. Um kommerziell erfolgreich zu sein, muss man also zehntausende Downloads dieses Albums erhoffen, damit alle Kosten der Aufnahme wieder gedeckt sind. Nicht einmal das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker schaft das aber. Und damit noch nicht genug: Die immer wichtiger werdenden Rundfunktantiemen werden Peral Music auch versagt werden, denn die allergrößte Mehrheit der weltweiten Radiostationen spielt nur physische Tonträger, keine reinen digitalen Files (in Deutschland und Österreich schon alleine deswegen, weil da kein LC=LabelCode im Spiel ist). Alles in allem ist da entweder SEHR viel Geld im Spiel, das man verbraten darf, ohne es je wiederzusehen, oder eben ganz einfach das, was Remi Franck schon im Mai 2014 festgestellt hat: Naivität. Ich werde – bei aller Wertschätzung für die Musik, die da gemacht wird – auch während Pandemie oder Covid-19-Isolation sicher kein Kunde.

Von der Naivität

Wagner zum Wäschewaschen

(c) Sony BMG

Ich komme erst jetzt dazu, es aufzuarbeiten. Irgendwann vor längerer Zeit, in einem CD-Geschäft (als es diese noch gab), hat es mir doch glatt die Sprache verschlagen – und das kommt selten vor. „Barock zum Baden II“ stand da im Regal . Ich könnte verstehen, wenn mich der/die geneigte Leser*in jetzt verdächtigt, ich würde ihn oder sie auf den Arm nehmen.

Ganz im Gegenteil: „Arien zum Autofahren“, „Barock zum Bügeln“, „Barock zum Backen“ und „Barock zum Bücherlesen“ sind nur die paar, die ich mir in meiner Fassungslosigkeit gemerkt habe. Ich stelle mir die Frage, ob die Existenz dieser CD-Reihe mehr Anlass zur Besorgnis über den Geisteszustand ihrer Macher oder ihres Publikums gibt. Wenn das die Tendenz ist, dann wundert es mich nicht, dass der Klassikmarkt in einer Krise stecken soll. Solche Dinge sind es, die die Krise sind – ist Volksverblödung gerichtlich verfolgbar?

Vielleicht aber bin ich nur hoffnungslos realitätsverweigernd. Bei scharfer Überlegung mag das so sein, und daher gehe ich in mich und erlaube mir, den Köpfen, die hinter dieser Serie stecken, meine bescheidenen Dienste anzubieten; ich werde keine Copyright-Ansprüche stellen. Sehr geehrte Damen und Herren, wie wäre es mit: „Rachmaninoff zum Rammeln“, „Schostakowitsch zum Schuheputzen“, „Nachtmusik für Nebbochanten“, „Gluck zum Glenfiddich“, „Wagner zum Wäschewaschen“, „Fauré zum Vögeln“ oder exklusiv für das bevorstehende Jubiläumsjahr 2024, denn auch dort muss ja heutzutage Berieselung sein, „Bruckner zum Brunzen“?

Wagner zum Wäschewaschen

Music Careers for Real Life

This article was first published in the University of Auckland’s Uni News in December 2019. See the original here.

In the 20th century, in particular, success in the arts was equalled with fame – a nonsensical notion that finally seems to be on its way out. The music industry is as diverse, exciting and transdisciplinary as never before, with new professional opportunities evolving constantly. Today’s young musicians are curious and passionate about their place in society, their cultural identity and the contributions they can make to the world. Siloed one-dimensional career pathways that dominated the second half of the 20th century do not exist any more, and I feel privileged to be in a position that enables me to contribute to the guidance of young musicians into sustainable and fulfilled lives as artists.

No two careers in music are identical, and – maybe except for the traditional orchestral musician – there is no such thing as a “job description” for any performer, composer, educator, producer, artist or music manager or theorist. Having driven a successful curriculum development that moved from a heavily prescribed curriculum to an individually curated student experience, I strongly believe that a music education institution of today should aim to guide its students through asking questions rather than providing them with answers.

Martin Rummel
(c) Elise Manahan

This approach seems diametric to the old- fashioned conservatory system based on the master-apprentice model but is essential to equip students to be thriving musicians in the volatile and fast-changing modern music industry. The separation of “those who do” and “those who teach” is equally outdated as the one between those who create and those who recreate.

Since the 1990s, “industry skills” has become a buzz phrase in music education, often resulting in outdated courses on crafting a CV or learning basic income tax or accounting. A more contemporary approach includes wide aspects of music dissemination, outreach and music appreciation, educational skills, digital literacies as well as knowledge in fundraising.

With an increasing diversification of concert formats and the constant change of opportunities for digital music dissemination, comes the need for students to not only be able to choose the best avenues for their own art but also to populate their chosen platform with meaningful combinations of content. This requires hands- on skills as well as a deep understanding of technical, social and artistic contexts. To give an example: I am convinced that in 50 years’ time, complete Beethoven Symphony cycles without a connection to the present, whatever form this connection takes, will not be performed any more.

Therefore, we must re-evaluate the acknowledgement of historical content and its relevance to now. While you are reading this, people are inventing new instruments, creating new techniques and writing new music. Consequently, music that is not older than five years has to be a standard requirement for all aspects of learning, while in current syllabi “contemporary music” often only equals atonal, dodecaphonic or serial music that is 100 years old.

It seems that 20 years into this new millennium three challenging questions for the curriculum development of a music school are shared across the globe:

  • How do we redefine the canon to address the exponential growth of musical styles, genres, techniques and languages?
  • How do we move from a teaching model based on recreation to a learning model based on creation?
  • How do we ensure students have the necessary skills for their future careers without over-prescribing their pathway through a degree?

For the delivery of a successful education model, there are other aspects to be considered, such as student mobility. I strongly believe that not only visiting students benefit individually from studying in a new country, but also the local community is enriched by incoming exchange students or international students participating in projects. This includes academics, as it often means adapting teaching style or content to cater for students who have different learning backgrounds. Successful partnership models that I have seen internationally capitalise on locally relevant content, cultural context and pedagogy.

Furthermore, partnerships with entities that enable students to have “real-life” experiences during their studies are essential. Students should have a chance to immerse themselves in the professional world under the guidance of tutors.

As today’s musical world is increasingly rich and diverse in all its aspects, students at tertiary level need to be equipped with a wide range of musical skills and knowledge. They also need to be culturally, socially and digitally aware, curious and exploratory, forward thinking and aware of the past, collaborators and critical thinkers.

A school that provides an inspiring and nurturing environment for their journey into the profession, with a sense of local relevance and responsibility, and with a conscious awareness of its standing in the international context, is an environment that I have been proud to be part of.

Music Careers for Real Life

RITMO – September 2019 (English below)

www.ritmo.es, September 2019

Martin Rummel – A wanderer of the cello

The cellist, who loves to explore lesser known music, returns to Bach with the second volume of (re)inventions for paladino music.

What do you try to express or say with “Bach (re)inventions” on the paladino music label, now with a new, the second volume?

This is the fourth volume of Eric Lamb’s and my (re)invention series, after the first Bach, a Mozart and a Schubert recording. It follows a tradition of arranging and reimagining works of the past that has somewhat been lost over the Originalklang movement. Bach’s multi-part keyboard works can be easily transformed into chamber music. Arranging is, of course, something which he did as well – think of the gamba sonata that became the double flute sonata or the violin concerto that turned into a keyboard concerto. As musicians, I think it is vital that we spend as much, if not more time studying repertoire that is not originally for our instrument. I honestly think that Bach would not mind, as long as we try to capture the spirit and remain respectful to the music. We also wanted to expand the range and were very happy that Elisabeth Kufferath, member of the Tetzlaff Quartett, accepted our invitation.

Here, Bach is combined with Kurtág …

Kurtág’s own Bach transcriptions that he and his wife play so magically form a beautiful link to this project. His Signs, Games and Messages, from which the short cello and flute solo pieces are taken, are similar to the Bach pieces in length, and – while of course in a completely different musical language – also in their emotional expression. Think of the F Minor invention, and the Doloroso. I also find that some movements of the solo cello, violin or keyboard works have resemblance with some of Kurtág’s short pieces. After the first (re)invention recording of five years ago (PMR0039), we thought that having a complimentary set of contemporary pieces on the second would round this project off nicely. Kurtág seemed like the obvious choice.

Martin Rummel is a friend of reinventions, like the one you created of Schubert’s Winterreise

Schubert is the composer who is probably closest to my heart. As my piano skills are not good enough anymore to even dream of public performances, I looked at other works that I could play. Besides the Duo in A Major (D574) or the Fantasie in C Major (D934), the Lieder are most obvious, particularly for cellists, as we can play them in the original keys and registers. I first tried that in concert with Henri Sigfridsson more than 20 years ago, and the Winterreise project first happened with Norman Shetler and August Zirner fifteen years ago. Norman then chose it for the celebration of his 80th birthday in Musikverein in Vienna, and when we left the stage, he told me that he was not sure if he had ever enjoyed the Winterreise more. While that is very flattering, I am very aware that he had done it with virtually every great singer of the 20th century, including Peter Schreier and Hermann Prey. What I find exciting about it is that as a cellist, you can only play it meaningfully if you really know the text. A note that has “heart” or “love” as its word, clearly has to sound different than “pain”, and so on. Bowings must reflect words and breathing, and I enjoyed rethinking my playing enormously. This is still one of my all-time favorite concert programs, and hearing the text separately reminds me how modern the entire cycle is.

You perform a lot of unknown chamber music …

I was lucky enough to have been artistic director of a chamber music festival for six years, and to have curated a few mini festivals for concert halls. When you look at any of the great composers’ works, you always find the lesser known contemporaries, predecessors or successors. I always find it great to place music in its context – and so much very good or even great music has been forgotten, sometimes only thanks to a publisher who went bankrupt, or other unfortunate circumstances. Why always only repeat the known?

Also, you edit and rescue music unknown to the world …

Aside from the superstars, most composers are known for one or a maximum of a handful pieces, and in some cases not even their best works – David Popper, of course, is the most obvious example for cellists. Everybody plays the etudes, and maybe the Gavotte, Op. 23, and the Elfentanz. Yet there are so many more, and much better pieces, including the Concertos, which I just released on the Naxos label (8.573930) and even a string quartet. Cellists always complain that our repertoire is so small. I could not disagree more: I now play more than 60 works for cello and orchestra, and over 100 duo works, and there is still more than a lifetime of works that I have not learnt yet. Convincing concert promoters to program lesser known works is a different story: Take the Zani Concertos (Capriccio C5145), which caused quite a stir in 2013 (twelve new cello concertos from the 18th century!), but when you suggest them to an orchestra or a promoter, the first answer is: “Well, can’t you rather play the Haydn, please …”. For the 2020 Beethoven year, I try to push for Ries (Naxos 8.573726 and 8.573851) – wish me luck for that!

Have you had a very intense summer of Festivals?

Due to my current role as Head of School at the University of Auckland, I unfortunately could not accept all invitations for this year’s festival season and had to jampack a six-week period in Europe with a variety of stuff. I am just back from a few performances of the Schubert Quintet with the Acies Quartett, last at the Tiroler Festpiele, and look forward to more chamber music, including a concert at the Carinthischer Sommer. We also have a very busy release schedule at paladino media (particularly on the paladino music and KAIROS labels, which both have important anniversaries this year), which adds to the fun. I feel very privileged to have such a variety of activities in my life, and am certainly not bored …

Have you been playing in Spain recently? Maybe any upcoming concerts?

I have not been to Spain for a while, unfortunately, but would love to return! A highlight that I remember very fondly was the premiere of Dorian Rudnytsky’s Costa Blanca Suite for cello and orchestra in Alicante – what a gorgeous place!

 

 

The original of this interview was published
in the September 2019 issue of the RITMO magazine, #ritmo932 .
Published here with kind permission from RITMO.

 

RITMO – September 2019 (English below)

The Proust Questionnaire, 2018

proust-questionnaire.jpgDear friends, family and all others: At 44, it is time to actually do it … below are my answers to the Proust Questionnaire – formulated without much thinking, with a glorious view of the Auckland Harbour Bridge and a bottle of decent New Zealand red wine.

Here are my thirty-five answers to thirty-five questions that everyone should think about every few years, and be it only for themselves.

__1.__What is your idea of perfect happiness?
To be in a position where I can make independent decisions.

__2.__What is your greatest fear?
To sacrifice freedom for convenience.

__3.__What is the trait you most deplore in yourself?
I still do not dare to say everything I think.

__4.__What is the trait you most deplore in others?
Narcissism („Giovanni, nimm dich nicht so wichtig.“)

__5.__Which living person do you most admire?
As a musician: Sir András Schiff. As a human being: Those who realize that being one of nearly 8 billion similar creatures does not justify entitlement nor special treatment.

__6.__What is your greatest extravagance?
To live without thinking too much about the future.

__7.__What is your current state of mind?
„Where to from here?“

__8.__What do you consider the most overrated virtue?
Wit.

__9.__On what occasion do you lie?
When I need to protect truth.

__10.__What do you most dislike about your appearance?
My ears.

__11.__Which living person do you most despise?
Too many to even start.

__12.__What is the quality you most like in a man?
Empathy.

__13.__What is the quality you most like in a woman?
Irony.

__14.__Which words or phrases do you most overuse?
„As I said, …“

__15.__What or who is the greatest love of your life?
What: Music. Who: My partner Eric, who fearlessly throws his emotions and thoughts at me without considering consequences.

__16.__When and where were you happiest?
When my mother died in my arms – for one very brief second, I understood life.

__17.__Which talent would you most like to have?
To always show my inner self.

__18.__If you could change one thing about yourself, what would it be?
To be able to always show my inner self.

__19.__What do you consider your greatest achievement?
To be 44 years old and still be rather fearless.

__20.__If you were to die and come back as a person or a thing, what would it be?
A Beagle.

__21.__Where would you most like to live?
In this very moment.

__22.__What is your most treasured possession?
My brain.

__23.__What do you regard as the lowest depth of misery?
Not being understood.

__24.__What is your favorite occupation?
Medical doctor.

__25.__What is your most marked characteristic?
Callousness. That is „most marked“.

__26.__What do you most value in your friends?
That they love me for who I am.

__27.__Who are your favorite writers?
Emily Dickinson, Thomas Mann, Hanns-Josef Ortheil, Daniel Silva and many others.

__28.__Who is your hero of fiction?
The Michelangelo that Irving Stone depicts.

__29.__Which historical figure do you most identify with?
Franz Schubert, because nobody else has ever managed to express the pain of beauty in a better way.

__30.__Who are your heroes in real life?
Nurses.

__31.__What are your favorite names?
Felix, Benjamin.

__32.__What is it that you most dislike?
Small talk.

__33.__What is your greatest regret?
Not to have fought for everything and everybody.

__34.__How would you like to die?
Without wishing for it to happen.

__35.__What is your motto?
„I am more interested in the future than in the past, because the future is where I intend to live.“ (Einstein)

The Proust Questionnaire, 2018

Zsigmondy spielt Bach

pmr0093_bach_webcover1994 starb Anneliese Nissen, Dénes Zsigmondys Frau und Duopartnerin über fünfzig Jahre Konzert- und Unterrichtstätigkeit. Die Aufnahmen von Sonaten von Mozart, Beethoven, Schubert, Brahms und Schumann sind bis heute – wenngleich bedauerlicherweise Insidertipps – beispielhaft für perfekte Duokunst. Ich lernte Zsigmondy 1995 kennen und hatte das Glück, über die nächsten zehn Jahre mit ihm Kammermusik spielen zu dürfen, in Holzhausen zu unterrichten, und rückblickend sehr viel Zeit mit ihm zu verbringen. Diese Bach-Aufnahme lag ihm unendlich am Herzen; sie war wohl sein musikalischer Abschied von seiner Frau, und sie dokumentiert zugleich die Essenz seines Daseins. Dénes Zsigmondy war in erster Linie Mensch, dann Musiker, und dann erst Geiger. Er war immer mehr interessiert an Kunst, Literatur, Architektur, Philosophie oder Musik an sich als am Geigenspiel im Besonderen. Zu den Menschen, denen er im Leben begegnete, gehörten Thomas Mann und Werner Heisenberg; er bewunderte Alfred Brendel, András Schiff und Cecilia Bartoli, und war leidenschaftlicher Tennisfan. Im Mai 1995, im Alter von 73 Jahren, schloss er sich über Tage hinweg alleine in der Kirche von Holzhausen ein, wo er Hunderte von Konzerten mit seiner Frau gegeben hatte, und spielte Bach aus seinem zerfledderten Exemplar des Faksimiles. Kein Tonmeister war anwesend; er betätigte den Startknopf des DAT-Recorders selber, nachdem Otto Braun die Mikrofone aufgebaut und ihn dann alleine gelassen hatte. Das Resultat waren rund 50 Stunden vollkommen unsortiertes Tonmaterial, denn natürlich folgte er weder einem Aufnahmeplan noch sonstigen Regeln. Es schien aussichtslos, dass aus den zahlreichen DAT-Kassetten mit wahllosen Bach-Sätzen (und manchmal nur Fragmenten) je eine professionelle Aufnahme werden könnte. Ich habe mich 1996 durch das gesamte Material gehört und gemeinsam mit Robert Müller die vorliegende Aufnahme geschnitten; noch heute erinnere ich mich an ein Band, das voll mit „Üben“ schien, aber dann einmal das Adagio der C-Dur-Sonate enthielt, das mir die Tränen in die Augen brachte – es befindet sich ungeschnitten auf in dieser Aufnahme. Keine Minute Zsigmondy, die ich damals gehört habe, empfinde ich als verschwendet. Zsigmondy bezahlte dann 1996 eine Pressung von CDs selbst; die Aufnahme ist nie richtig veröffentlicht worden. Ich bin daher glücklich, zur 95. Wiederkehr seines Geburtstags das Vermächtnis dieses besonderen Musikers in einer neu gemasterten Version einer weiteren Öffentlichkeit präsentieren zu können, und bin sicher, dass nicht nur seine zahllosen Schüler und Freunde daran Freude haben. Es ist nicht nur ein musikalischer Blick in die Vergangenheit, sondern auch in die Seele eines Menschen, den wir nicht vergessen sollten.

Zsigmondy spielt Bach

Joseph Haydn zum 286. Geburtstag

474px-Joseph_Haydn_0Es ist wohl nicht nur dem Epitheton „Papa“ zu verdanken, dass wir uns kaum vorstellen mögen, dass Haydn auch einmal jung gewesen sein muss. Aber eigentlich, wenn man ganz ehrlich zuhört, ist Franz Joseph Haydns Musik bis zu jener aus seinem hohen Alter die des Lausbuben aus dem burgenländischen Dorf Rohrau. Es ist ein flaches, unauffälliges Haus an der Hauptstraße, in dem Joseph Haydn 1732 zur Welt kam und von wo aus er von seinem Schullehrer zu einer besseren und insbesondere auch musikalisch fundierten Ausbildung in die Stadt geschickt wurde.

Die wesentlichen Fakten seines Lebens sind bekannt: verheiratet mit einer Frau, die allgemein als missmutig beschrieben und von ihm wahrscheinlich nicht im romantischen Sinne geliebt wurde (führen wir uns hier doch Mozarts geradezu gurrende Verliebtheit als Kontrast vor Augen), jahrzehntelanger Dienst bei Esterházys und später Ruhm, der ihm von Wien aus auf allen seinen Reisen vorausgeeilt ist.

Und doch, bei allem Fleiß, aller Gewissenhaftigkeit und allem Ehrgeiz, den der Haydn wohl gehabt haben muss (denn sonst wäre er kaum zu dem geworden, was er am Ende seines Lebens war: ein reicher und berühmter Mann), ist ihm zweifellos ein unbändiger und bodenständiger Schalk im Nacken gesessen. Zu viele Anzeichen gibt es dafür: allseits bekannte wie die Komposition der „Abschiedssymphonie“, aber auch weniger bekannte wie den doppelten Verkauf desselben Stücks an zwei Verleger in verschiedenen Ländern, in der Gewissheit, dass diese es nicht merken würden, bis hin zu so unendlich vielen kleinen und großen musikalischen Überraschungen, die die Erwartungshaltung seiner Zuhörer geradezu ad absurdum führen, dass ein detailliertes Aufzählen hier gar nicht möglich ist.

Wohl aber möglich ist, daraus ein sehr persönliches Bild zu zeichnen von einem Menschen, der bei allem schwer begreiflichen und unendlichen Talent doch im Gegensatz zu Mozart, dem ein göttlicher Funke innewohnt, ein durch und durch irdischer Komponist ist. Man mag sich vorstellen, daß er während einer Aufführung in der Ecke sitzt und schmunzelt, wenn der Frau Gräfin beim Paukenschlag vor Schreck der Fächer aus der Hand fällt. Mozarts Scherze sind weniger subtil: Wenn er scherzt, dann in der ihm eigenen göttlichen Maßlosigkeit, so dass man „vor Vergnügen Pomeranschen scheißen möchte“.

Haydn, wegen seiner oft unaufwendigen Kompositionsmittel auch immer wieder unterschätzt (hat jemals jemand Mozart unterschätzt?), braucht mitunter Intellektuelles Verständnis, ohne das man bei Mozart wahrscheinlich weiter kommt. Haydn ist dennoch nicht weniger beglückend und vor allem oftmals kühner als man es dem „Papa“ instinktiv zutrauen möchte.

Joseph Haydn zum 286. Geburtstag

Wolfgang Amadeus Mozart zum 262. Geburtstag

Mozart, Wolfgang Amadeus (BKA)_0Über Mozart, den Komponisten, der wohl den Göttern am nächsten ist, scheint alles gesagt. Und doch gibt es Dinge, über die man auch als Musiker nicht täglich nachdenkt.

1862 machte sich der Jurist, Historiker und Amateurmusiker Ludwig von Köchel, Erzieher der Söhne von Erzherzog Karl, daran, die Werke Wolfgang Amadé Mozarts zu katalogisieren. Und da beginnen schon die Probleme: Wolfgang Amadeus Mozart hieß gar nicht „Amadeus“. Wir haben keine einzige solche Unterschrift von Joannes Chrysostomus Wolfgangus Theophilus Mozart (so der Taufname), lediglich in drei Briefen verwendet er – und das auch nur eher scherzhaft – die später wahrscheinlich durch den amtlich latinisierten Eintrag im Sterberegister üblich gewordene Form seines von ihm stets gewählten „Amadé“ übersetzten dritten Vornamens Theophilus. Noch die ersten Werke erschienen als „J. G. Wolfgang Mozart“, das G für „Gottlieb“.

„Wurscht“, mögen Sie jetzt zu Recht denken – ist es aber doch nicht ganz, denn es zeigt, daß man mit wieviel Forschung auch immer an die wahren Details im Leben des W. A. Mozart wohl nicht herankommen wird. Und so verhält es sich auch mit dem von fünf weiteren Musikwissenschaftlern unaufhörlich ergänzten, erweiterten und umgearbeiteten Köchel-Verzeichnis, dessen inzwischen achte Auflage aus dem Jahr 1983 nicht nur für Musiker ein inzwischen unüberschaubares Chaos darstellt. In noch chaotischerem Zustand ist wohl das in meinen Augen unselige Werkverzeichnis von Joseph Haydn, das Anthony van Hoboken in den Jahren 1957 bis 1978 angefertigt hat.

Während Sie diese Zeilen lesen, wäre das erste Werk des Köchelverzeichnis, das Menuett in G-Dur KV1 (erste Auflage) bzw. KV1e (sechste Auflage) wahrscheinlich schon vorbei. Nicht einmal die Entstehungszeit dieses kleinen Stücks ist wirklich sicher: War Mozart nun fünf oder acht Jahre alt, als er es schrieb? Das nun – Sie mögen es mir verzeihen – finde ich „wurscht“, denn mir als Musiker wird das Wunder Mozart immer unbegreiflicher, je mehr Musik ich von ihm kenne.

Springen wir ins Jahr 1785. Mozart war auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft und – das sei hier nebenbei erwähnt – alles andere als ein verarmtes Genie. In heutiger Währung waren es in den Wiener Jahren Millionen, die er umsetzte. Der konzertierende und komponierende Superstar, der für die Kerzen in der für seinen Billardtisch eigens konstruierten indirekten Beleuchtung jährlich bedenkenlos mehr Geld ausgab als die Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung verdiente, lebte überschwenglich: prachtvolle Wohnungen, Instrumententransporte, Bedienstete, Kleider, Perücken, die Kuraufenthalte für seine Frau, Festessen und vieles mehr. Andererseits: Er war 29 (!) Jahre jung, endlich erfolgreich und gesund – wofür hätte er sparen sollen? Er konnte ja nicht wissen, dass er mit 35 tödlich erkranken würde. Dass bei einem solchen Lebenswandel dann auch einmal eine Produktion, in die er viel Geld investiert hatte, ein Flop sein konnte, ist nur natürlich, und Versicherungen jeglicher Art kannte man nicht. Also gab es zeitweise Engpässe – heute würde man sagen: unregelmäßigen cashflow. Aber richtige Armut? Nie – das gehört ins Reich der Legenden. Mozarts Gagen in Wien waren astronomisch. Man würde ja auch heute von Michael Jackson nicht sagen, er hätte „verarmt“ gelebt …

Nächste Station: 1788. Es sind die drei letzten Symphonien, Klaviertrios und -sonaten sowie verschiedene kleinere Werke, die es (jenes nach dem „Don Giovanni“) beherrschen. Mozart – man vergesse das nicht! – war immer noch erst 32 Jahre alt. Die Symphonie in C-Dur KV 551 („Jupiter“) ist die letzte, wenngleich mit dem „Titus“, der „Zauberflöte“, dem Requiem und dem Klarinettenkonzert noch massenhaft Orchesterwerke folgen sollten. Die drei letzten Symphonien entstanden wohl innerhalb von zwei Monaten, sind doch die Niederschriften mit 26. Juni, 25. Juli und 10. August datiert. Wenn das für nachkommende Musiker keine Aufforderung zur Demut ist … Die Tonarten g-moll, Es-Dur und C-Dur könnten auf die drei Symphonien 82 bis 84 von Haydn zurückgehen, die im Dezember 1787 als sein op. 51 im Druck erschienen ist. Eine weitere Verbeugung vor dem großen Gönner? Es scheint demzufolge beinahe schicksalhaft, dass ausgerechnet in London, wo Haydn manche seiner größten Erfolge feierte, von dem Impresario Johann Peter Salomon 1829 der Name „Jupiter-Symphonie“ geprägt wurde. Amadeus und Jupiter – wer da den kürzeren zieht, bleibt wohl offen.

Schauen Sie das Phantombild des BKA an, das einen Besessenen zeigt. Schumanns Zitat:„Klimpere nie!“ ist geradezu harmlos im Vergleich zu Mozarts Schaffensdrang. Was bleibt? Vielleicht eine weitere Antwort auf die Frage, woran Mozart gestorben ist: Zu viel Leben.

Wolfgang Amadeus Mozart zum 262. Geburtstag

Ludwig van Beethoven zum 247. Geburtstag

ludwig-van-beethoven-death-mask-of-the-german-composer_2_0Eigentlich ist es ja seltsam, dass ausgerechnet ein Rheinländer mit niederländischen Wurzeln als einer der drei Hauptvertreter der „Wiener Klassik“ gilt. Die anderen beiden sind übrigens ein Salzburger (Mozart) und ein Burgenländer (Haydn). Ludwig van Beethoven, geboren 1770 im damals noch beschaulichen Bonn am Rhein als Sohn eines dem Alkohol verfallenen Orchestermusikers, kam also dank diverser Gönner nach Wien, um von dem Burgenländer die Wiener Klassik zu lernen, und blieb – wie so viele vor und nach ihm.

Auch bei Beethoven sind die Eckpfeiler seines Lebens wohl bekannt oder leicht nachzulesen. Beethoven, von den drei Wiener Klassikern derjenige, der die Schwelle zur Romantik am ehesten berührt, wenn nicht sogar ganz zaghaft gelegentlich schon überschreitet, quasi mit der kompositorischen kleinen Zehe. Mozart, der Göttliche, Haydn, der Irdische, und Beethoven, der … ja was? „Titan“ ist einer der Begriffe, die man immer wieder in Zusammenhang mit ihm findet. Warum ausgerechnet „Titan“?

Beethoven ringt ein Leben lang. Mit sich, seinem Inneren und Äußeren. Glaubt man den zeitgenössischen Beschreibungen, so war er kein äußerlich schöner Mensch: als klein und pockennarbig, mit wildem Haar und oft grimmigem Gesichtsausdruck wird er dargestellt. Das Innere ist wohl schwerer zu beschreiben, ist es doch so untrennbar mit manchen Äußerlichkeiten, so etwa der immer wieder verschmähten Liebe und dem Verlust der akustischen Wahrnehmungsfähigkeit der Umwelt verbunden. Nicht nur daraus resultiert wohl ein geradezu panisches Ringen mit den musikalischen Gedanken, die sich in seinem Kopf und seiner zerklüfteten Seele formen. Meist sind es Tonleiter- oder Dreiklangsmotive, die er – anders als die endlos fließenden Mozart-Melodien oder die fast sprachlich artikulierten Haydn-Motive – zu markanten Themen zusammenschmiedet.

Abweisend und schroff sind viele seiner Themen, ja ganze Werke brauchen die Bereitschaft von Musikern und Zuhörern, sich auf diesen Menschen einzulassen. Und doch gibt es die Momente der beinahe unbeschwerten Schönheit, sogar Anflüge von Humor, wenngleich selten „Spaß“. Harmlos war er sicher nicht, der Komponist von „Hammerklavier“-Sonate, Fidelio und den späten Streichquartetten. Wäre er ein bildender Künstler gewesen, hätte er wohl mit Granit und heutzutage auch mit Stahl gearbeitet. Und doch tun sich Sehnsüchte auf (man denke an den langsamen Satz der „Pathétique“-Sonate), friedlich-pastorale Werke (so etwa der erste Satz des G-Dur-Klavierkonzerts, der erste Satz des „Erzherzog“-Trios oder die A-Dur-Cellosonate) und auch heiter-unbeschwerte Sätze (etwa der letzte Satz des dritten Klaviertrios, der letzte Satz des Tripelkonzerts oder weite Teile der siebten und achten Symphonie) kommen vor.

Beethovens Musik springt einen nicht an, weder den Zuhörer noch den Spieler. Sie braucht, um ihre volle Faszination zu entfalten, den Willen, dem Menschen Beethoven entgegenzukommen. Lässt man sich aber einmal auf diese Reise wirklich ein, kommt man von ihr nicht mehr los. Und irgendwann, irgendwann erklärt sich auch das Unerklärliche, zum Beispiel wie in den letzten Streichquartetten die Cavatine neben der Großen Fuge stehen kann. Beethoven näherkommen zu wollen ist eine Reise zum Mittelpunkt der Erde.

Ludwig van Beethoven zum 247. Geburtstag